Hilfseinsatz in Birmingham, England - Caro

 

Eine Woche Winson Green in Birmingham, eine Woche voller Begegnungen, Geschichten, Inspirationen – wie kann man all das, was wir erlebt haben, zusammenfassen? „You need God, people and place” ist einer der vielen Sätze, die uns im Kopf bleiben. 

Orte. Winson Green ist eine sehr arme Nachbarschaft in Birmingham, es herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit, komplizierte Familiensituationen, Abhängigkeiten von Alkohol und Drogen. Doch wir haben Orte der Hoffnung erlebt.  

In Newbigin House wird Leben geteilt. Neben den Leitern Anji und Ash Barker wohnen weitere Mitarbeitende im Haus, aber auch Menschen aus der Nachbarschaft. Im Erdgeschoss gibt es ein großes Wohnzimmer, eine gemeinsame Küche und einen riesigen Garten. Neben dem Alltag tobt durch das Wohnzimmer und den Garten montags bis donnerstags in drei Ferienwochen das Kidscamp, draußen stehen zwei Trampoline und andere Sportgeräte. Sonntags wird gemeinsam gegessen und Gottesdienst gefeiert. Und genauso gibt es plötzlich die ruhigen Momente, in denen wir als Team zusammensitzen und Zeit zum Ausruhen finden.  

Das Lodge Road Drop-In Centre ist jeden Tag für die Nachbarschaft geöffnet. Hier stehen Tische für alle möglichen Clubs bereit, es gibt Frühstück und Mittagessen für wenig Geld. Gleichzeitig wird hier sonntags Gottesdienst gefeiert, es gibt einen Proberaum für Musiker, Büroräume für Sozialarbeiter:innen, ein Fahrradlager und einmal in der Woche verwandelt sich der Hauptraum in eine Rollschuhbahn.  

Darüber hinaus gibt es Ausflüge zu einer Farm, an den Strand, in ein Landhaus... Außerdem wurde ein vermüllter Park wieder zu einem schönen gemeinsamen Ort, in diesem Sommer wird eine neue Highschool eröffnet – die Liste der Orte ist lang und wird immer länger.  

 

Menschen. Das Herzstück der Nachbarschaft sind aber nicht die Orte, sondern die Menschen. Anji hat eine große Begabung darin, das Potenzial in einzelnen zu erkennen. Ash sagt, sie seien immer auf der Suche nach Freude im Alltag: Was begeistert Menschen? Diese Grundstimmung ist überall spürbar. Valerie, eine ältere Dame, konnte aus ihrer Leidenschaft zum Nähen einen Club gründen. An zwei Maschinen sitzt man zusammen, unterhält sich und werkelt vor sich hin. Sophie ist sonntags für Tee, Kaffee und die Präsentationsfolien zuständig. Dass sie eine geistige Behinderung hat, spielt keine Rolle. Alex ist in der Nachbarschaft aufgewachsen und hat einen ganz besonderen Blick für die Menschen. Er verantwortet viel Kreatives, lässt sich aber mit seinen 63 Jahren auch nicht vom Rollschuhtraining abhalten. Nine leitet mit großer Begeisterung den Rollschuh-Club und organisiert den Bingo-Nachmittag der Golden Ager – ein ehemaliges Gangmitglied, das jetzt seine Leidenschaft für das Skaten weitergibt und Tee an die Senioren verteilt. Louise, die nach ihrem Studium ins Haus gezogen ist und für viele Aktivitäten mit Kindern und Jugendlichen verantwortlich ist, aber auch genauso angerufen wird, wenn es in der Nachbarschaft einen Notfall gibt. Mandy, die ihre eigenen Erfahrungen mit dem Jugendamt und mit Abhängigkeiten nutzt und neben Anji das zweite Sozialarbeiter-Büro besetzt. Hier gehen täglich Menschen der Nachbarschaft ein und aus. Gurmeet, die zunächst nur freiwillig im Essensbereich mitgeholfen hat und jetzt jeden Tag Frühstück und Mittagessen anbietet – ihr Essen ist einfach köstlich. Andi, der Wassersport liebt und der nun mit einigen Kajaks seinen Traum verwirklichen kann, möglichst vielen Menschen die Freude auf dem Wasser weiterzugeben. Sie alle sind nur ein kleiner Teil der Nachbarschaft, die wir kennenlernen durften. Jede:r trägt Verantwortung, man traut ihnen etwas zu, Leben wird ganz praktisch geteilt. Wenn man sie fragt, was ihnen an der Organisation besonders gefällt, sind sie sich einig: Die Gemeinschaft, die Freundschaften, dass man gebraucht wird – und ihre Augen leuchten.  

 

Gott. In so vielen Momenten in Winson Green ist Gott spürbar – nicht durch lange Predigten oder durch den Versuch, Menschen zu überzeugen. Vielmehr sind es das Miteinander, das Teilen, das Engagement, die Liebe untereinander, die Wertschätzung. Auf diese Weise entstehen immer wieder auch Gespräche über den Glauben. Menschen seien nicht von Gott enttäuscht, sondern von der Kirche, sagt Anji. Und die Bedingung für ihre Freundschaft sei nicht die Seele der Menschen. Ihre Theologie ist sehr klar, aber sie wird niemandem aufgezwungen. Sie zeigt sich in dem, was sie tun und leben. Während einer Session berichtet Ash von einer Umfrage, die Shane Claiborne unter Jesus-Nachfolgern durchgeführt hat. Hat Jesus Zeit mit Armen verbracht? 80% stimmten hier zu. Verbringst du Zeit mit Armen? 2% beantworten diese Frage positiv. Die Frage, die bei unseren ganzen Eindrücken bleibt: Was bedeutet das für uns in Frankfurt?