Zwei Herzen - Sherin und Mickayla als Leiterinnen von PX Mainz-Wiesbaden

 

“Wenn ich bei PX bin, verbringe ich einen Abend mit Freundinnen, denn das Team ist nicht nur ein Kreis aus Ehrenamtlichen und die Frauen*, die wir treffen, nicht nur unsere Schützlinge. Für alle von ihnen wünsche ich mir, dass jede ihre Stärken kennt und dadurch Selbstvertrauen gewinnen kann. Ich wünsche mir, dass unsere bestehenden Beziehungen sich verfestigen, dass unser Team wächst und dass wir dadurch noch mehr Häuser besuchen können.” träumt Sherin, eine der beiden Leiterinnen des PX Teams Mainz-Wiesbaden. Auch Mickayla hat Hoffnung für die Frauen, die ihren Körper verkaufen: “Ich träume davon, dass wir erleben dürfen, dass sie ihren Wert erkennen und sich nicht nur auf dieses Bild von sich in der Prostitution reduzieren. Es wäre schön, wenn wir dazu in den Häusern die Gemeinschaftsräume nutzen könnten, um zusammenkommen und sich gegenseitig Sachen beizubringen und zu stärken, damit auch zwischen den Frauen in den Häusern mehr Vertrauen entsteht und sie auch füreinander da sein können. Vielleicht haben wir in der Zukunft auch ein Drop-in-Center in Mainz, wo keine Freier, Türsteher, Hausmeister oder Hausdamen die Frauen beobachten, ein Rückzugsort ohne die ganzen Blicke.”

Sherin und Mickayla teilen sich die Leitungsstelle bei PX seit November 2022. Während Sherin im Umkreis von Mainz aufgewachsen ist, ist Mickayla erst seit 2014  hier. Sie studiert dual Soziale Arbeit, arbeitet Teilzeit im Kindergarten und hat davor in Südafrika gelebt. Sherin ist beruflich Heimerzieherin in einer Wohngruppe für Jugendliche und Gewaltpräventionstrainerin. Beide haben ein großes Herz für Menschen, beiden bricht ihr Herz regelmäßig für Frauen in Prostitution. “Zuerst haben wir beide PX nur durch Treffen im Videochat kennengelernt, da die Bordelle während Corona geschlossen waren. Wir haben Frauen über Plattformen angeschrieben und ihnen Hilfe angeboten. Das Unterfangen war schwierig, viele haben nicht geantwortet. Diesen Frauen haben wir dann einen ermutigenden Text in ihrer Muttersprache geschickt. Als die Häuser im Oktober 2021 wieder öffneten, war es für uns beide zuerst ein mulmiges Gefühl, da man mit Dingen konfrontiert wurde, von denen man vorher nichts wusste. Durch das verbindende Thema Corona kam man einfach mit den Frauen ins Gespräch, das hat uns den Einstieg erleichtert“, berichtet Sherin.

So unterschiedlich wie die Leben der beiden Leiterinnen ist auch ihr Weg zu PX gewesen. Mickayla lächelt, als sie von ihrer unerwarteten Begegnung mit Taylor Atkins, ehemaliger Missionarin in Mainz, erzählt: „Eine Freundin von mir hat im Good Coffee gearbeitet und ich habe sie besucht. Ich saß da und hörte eine unbekannte Frau (Taylor) über das Drop-in-Center für Frauen im Rotlichtviertel in Frankfurt reden. Ich weiß nicht, was genau da in mir vorging, denn normalerweise bin ich sehr schüchtern, aber in dem Moment bin ich einfach auf sie zugegangen, obwohl ich sie nicht kannte, und wollte von ihr wissen, wovon sie spricht. Dann habe ich auch direkt gefragt, wie ich Teil davon sein könnte. So kam ich zu Kirche in Aktion. Es muss Gott gewesen sein, der mich geleitet hat. Ich hatte das Gefühl er sagte “Ich brauche dich da, geh dorthin“. Im ersten Gottesdienst habe ich direkt Winni getroffen und er meinte zu mir, dass ich nicht einfach wieder verschwinden soll. Das habe ich mir zu Herzen genommen.” Sherin hingegen hat die Problematik von Frauen in Prsotitution schon länger auf dem Herzen. „Ich war schon bei vielen Charity-Events, die sich mit dem Thema beschäftigt haben. Ich kenne Tina, die ehemalige Leiterin von PX Mainz, schon von früher und ich habe sie öfter getroffen und über die Arbeit bei PX ausgefragt. Lange Zeit empfand ich mich als nicht stabil genug, um einzusteigen. Eines Tages dann war Tina ungeduldig mit mir und hat mich gefragt: “Was ist denn jetzt? Wie geht es weiter?”. Das war genau der Schubs, den ich gebraucht habe. Auch wenn ich wusste, dass mich das Thema vor viele Herausforderungen stellen wird, habe ich endlich das Commitment gemacht.“

Nun sind beide nicht nur Teil des Teams, sondern sogar Leiterinnen. Als Tina ihre Leitungsstelle weitergegeben hat, hat sie beide direkt dafür angefragt, da sie immer schon viel mitgedacht und gerne auch mehr Verantwortung übernommen haben, immer offen den Frauen gegenüber sind und kreative Lösungen und Wege suchen. Nun leiten sie die Einsätze in die Häuser sowie die Community on Mission, die einmal in der Woche wechselnd stattfindet. “Nach einer Zeit des Überlegens, Besprechens und Gebetes haben wir Tinas Anfrage angenommen.” sagt Mickayla: „Es war ein angenehmer, langsamer Prozess der Übergabe, da wir nicht alleine sind. Ich habe Sherin, im Hintergrund Hiwot und Laura und Gott sorgt für uns alle, wenn wir uns bereitstellen. Es muss nicht alles aus meiner eigenen Kraft kommen. Jetzt haben wir vier Häuser, die wir mit zwei Teams betreuen. Dort wollen wir unsere Beziehungen vertiefen und auch zukünftig gerne in neue Häuser gehen, in die wir im Moment noch nicht reinkommen. Während ich mehr für die Treffen bei mir zuhause zuständig bin, leitet Sherin die Mittwoche an, an denen wir raus gehen. Es ist so schön, dass wir die Möglichkeit haben, den Frauen auf Augenhöhe zu begegnen, von ihren Träumen und den Familien zu hören. Auch, wenn die Arbeit einen sehr belasten kann, die Schicksale der Frauen einen stark mitnehmen, komme ich doch meistens dankbar für die Momente und mit einem Lächeln auf meinem Gesicht nach Hause, selbst, wenn es mir vor dem Einsatz nicht gut ging.”

my god
is not waiting inside a church
or sitting above the temple‘s steps
my god
is the refugee‘s breath as she‘s running
is living in the starving child‘s belly
is the heartbeat of the protest
my god
does not rest between pages
written by holy men
my god
lives between the sweaty thighs
of women‘s bodies sold for money
was last seen washing the homeless man‘s feet
my god
is not as unreachable as
they‘d like you to think
my god is beating inside us infinitely
— Rupi Kaur, The Sun and Her Flowers

“Man trifft so starke Frauen, wie man sie sonst so gut wie nirgends trifft“, erklärt Sherin, „es sind Frauen, die für ihre Liebsten alles geben. Es ist ein Fleck, wo wenige Leute hinschauen und so viel Leid existiert. Ihnen etwas zurückgeben, in sie zu investieren und ihnen ihren Wert zuzusprechen, das fühlt sich einfach richtig an. Man versucht eine Kleinigkeit zu geben, eine Umarmung, Make Up, ein Lächeln und dann merkt man, dass Freundschaften entstehen. Die Arbeit bei PX hat mich herausgefordert, meinen Glauben in Kämpfe versetzt, aber es hat ihn auch stärker gemacht, auch dadurch, dass man so viele gläubige Frauen in den Bordellen trifft. Sie haben mir meinen Glauben auf eine andere Weise näher gebracht. Deshalb habe ich mich noch mal mehr damit auseinandergesetzt, wie Jesus gelebt hat und wie sehr er diese Frauen liebt. Es ist so wichtig, dass über dieses Thema mehr gesprochen wird, denn es geht jeden Christ, jede Christin aber auch jede anderen Person etwas an. Diese “andere Welt” ist nur 5 Minuten von uns entfernt und jeder kann etwas daran ändern, wenn wir Bewusstsein schaffen und Gespräche darüber führen.” Mickayla schließt das Interview mit einem Gedicht von Rupi Kaur: “Mein Glaube wurde durch PX und die Frauen sehr gestärkt. Dadurch, wie sie daran glauben, dass Gott groß ist und dass er für sie sorgt. Sie geben mit ganzem Herzen, haben so viel Liebe und das finde ich unglaublich bewundernswert. Das Gedicht “My god” beschreibt es schön.”